Zukunft bewahren — Heute handeln
Die Weltgemeinschaft hat sich in internationalen Verträgen völkerrechtlich verpflichtet Klima (Pariser Klimaabkommen) und Biodiversität (Aichi) zu schützen. Doch eine Zielerreichung ist noch lange nicht in Sicht. Statt die Temperaturerhöhung auf möglichst 1,5 Grad Celsius, in jeden Fall aber deutlich unter 2 Grad zu begrenzen, laufen wir auf eine Erhitzung von drei bis fünf Grad zu. Keines der 20 Biodiversitätsziele, die bis 2020 erreicht werden sollten, ist vollständig erfüllt.
Zahlreiche Beschwerdeführende aus Deutschland, Nepal und Bangladesch, darunter auch viele Kinder und Jugendliche sowie Umweltorganisationen wie u.a. der BUND hatten sich deswegen an das Bundesverfassungsgericht gewendet, um die Klimaschutzpolitik Deutschlands auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand zu stellen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde am 29. April 2021 veröffentlicht.
Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht: Die Politik ist in der Pflicht, die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen zu schützen. Und das geht nur, wenn wir heute die richtigen Maßnahmen ergreifen! Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts untermauert die Aussagen vom Hamburger Zukunftsmanifest[1] des Zukunftsrates Hamburg und sollte von Hamburgs Politik zum Anlass genommen werden, ab sofort wesentlich mehr Mut in der Klimaschutzpolitik zu wagen.
Bundesverfassungsgericht: Keine kurzsichtige Klimapolitik zulasten der Zukunft
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 24. März 2021 entschieden, dass das Klimaschutzgesetz des Bundes teilweise verfassungswidrig ist.[2] Dem Bundesgesetzgeber wird auferlegt, bis Ende 2022 konkrete Minderungsziele für die Zeit nach 2030 festzulegen. Das Gericht hat deutlich gemacht, dass der Schutzauftrag in Art. 20a des Grundgesetzes vom Staat verlangt, mit den natürlichen Lebensgrundlagen sorgsam umzugehen und „sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten.“[3] Es führt aus, dass der Gesetzgeber frühzeitige und verbindliche Maßnahmen zur Erreichung der gesetzten Klimaschutzziele umzusetzen hat.[4] Das Gericht macht überdies deutlich, dass die Reduktion von CO2-Emissionen aus Sicht des Grundgesetzes unausweichlich ist und rechtzeitig erforderliche Transformationen eingeleitet werden müssen.[5] Das Bundesverfassungsgericht erklärt das verbleibende nationale CO2-Restbudget von 6,7 Gigatonnen ab den Jahr 2020, wie es der Sachverständigenrat für Umweltfragen ermittelt hat, für maßgeblich bei der Bestimmung von gesetzlichen Reduktionsmaßgaben.[6] Das Bundesverfassungsgericht fordert zwar nicht, dass ein CO2-Restbudget gesetzlich festgeschrieben werden muss; es hat aber klargemacht, dass die Schätzungen des IPCC zur Größe des verbleibenden globalen CO2-Restbudgets zu berücksichtigen sind und zieht das nationale CO2-Restbudget als Bezugspunkt für seine Auffassung heran.[7]
Verbindliches CO2-Restbudget für Hamburg
Aus dem genannten CO2-Restbudget für Deutschland lässt sich nach dem Anteil der Hamburger Einwohner:innenzahl an der deutschen Bevölkerung das CO2-Restbudget für die Stadt abschätzen[8]: Für Hamburg stehen ab 2020 in absoluten Zahlen noch knapp 150 Mio. t CO2 zur Verfügung. Der Hamburger Senat verfolgt jedoch die Methode der prozentualen Reduktion der jährlichen CO2-Emissionen bezogen auf das Basisjahr 1990: ‑55% bis 2030, ‑95% bis 2050. Dieses Ergebnis strebt der Hamburger Klimaplan erst 2050 an. Auf der Basis der zuletzt für 2018 ermittelten 16,3 Mio. t Emissionen pro Jahr wäre das Restbudget jedoch bereits in neun Jahren, also 2029 verbraucht (bei linearer Abnahme in 18 Jahren). Darüber hinaus ist das betrachtete CO2 aus der Energieproduktion nur eines von mehreren Klimagasen, die die Erde erwärmen.[9] Im Hamburger Klimaschutzgesetz fehlt es bisher an der verbindlichen Nennung des verbleibenden Hamburger CO2-Restbudgets. Auch der Hamburger Klimaplan nennt kein CO2-Restbudget zur Orientierung. Das klare Bekenntnis des Bundesverfassungsgerichts zum Budgetansatz sollte zum Anlass genommen werden, ein CO2-Restbudget für Hamburg festzulegen. Ein solches, alle Sektoren einbeziehendes und in diesem Sinne „ehrliches“ CO2-Restbudget hat z. B. auch die Emissionen bei der Herstellung für Zement zu berücksichtigen, wenn dieser für Straßen- oder Wohnungsbau in Hamburg eingesetzt wird.
Was bedeutet ein CO2-Budget konkret für Hamburg?
Die strikte Einhaltung eines CO2-Budgets hat deutlich weiter reichende Auswirkungen, als dies von der Politik häufig dargestellt wird. Fossile Brennstoffe tragen immer noch zu mehr als 75 % zum Primärenergieverbrauch in Deutschland bei[10]. Trotz großer finanzieller Anreize in den letzten 30 Jahren tragen die skalierbaren Energiequellen Wind und Photovoltaik erst 7% zum Endenergiebedarf bei[11]. Die meisten Studien gehen davon aus, dass man auch künftig nur etwa die Hälfte des jetzigen Endenergiebedarfs mit hierzulande produzierten Erneuerbaren Energien decken kann. Dass Energieimporte in nennenswerten Umfang zur Verfügung stehen werden kann bezweifelt werden, da alle Länder zuvörderst ihre eigenen Energiesysteme umstellen werden. Aber auch schon das Vorsorgeprinzip gebietet, dass die zukünftige Energieversorgung Deutschlands nicht auf hypothetischen Quellen aufgebaut ist.
Der Endenergiebedarf Deutschlands lag in den letzten 30 Jahren fast konstant bei 2.500 TWh. Verbesserungen bei der Energieeffizienz wurden durch zunehmende Wirtschaftstätigkeit ausgeglichen. Die Aufgabe, den Energiebedarf innerhalb der nächsten etwa 15 Jahre zu halbieren, kann mit bloßen Reformen nicht bewältigt werden. Hier bedarf es vielmehr einer umfassenden Transformation unserer Art zu leben und unserer Art zu wirtschaften. Zuallererst bedarf es einer neuen Art politischen Denkens. Statt einer Politik, die sich an wirtschaftlichem Wachstum orientiert, müssen die vorgegebenen planetaren Grenzen zum Ausgangspunkt politischen Handelns werden. Die Frage nach den Möglichkeiten und Bedingungen für einen sozial-gerechten ökologischen Wandel ist dabei zentral.
Beispiel Sektor Gebäude
Dass Neubau allein kein Rezept zur Beseitigung von Wohnungsknappheit und steigenden Mieten ist, hat die Mietpreisentwicklung Hamburgs Bürger:innen deutlich gemacht. Statt Wohnungsnot zu beheben, haben die Neubau-Aktivitäten dazu geführt, dass sich die durchschnittliche Wohnfläche pro Person erhöht hat.
Auf Basis eines verbindlichen, absoluten CO2-Budgets ist künftig anders zu rechnen. Hier sind bezogen auf Hamburg folgende Fragen aufzuwerfen:
- Was ist der Gebäudeanteil am CO2-Restbudget?
- Wie viel CO2 wird für die energetische Sanierung aller Gebäude benötigt?
- Wie viel CO2 wird in nicht sanierten Gebäuden bis zur Sanierung emittiert?
Aus der Differenz dieser Faktoren ergibt sich dann das Netto-Restbudget für den Gebäudesektor, das maximal für Neubauten zur Verfügung steht.
Im Übrigen müssen folgende, grundlegende Prinzipien beachtet werden:
- Absoluter Vorrang für energetische Sanierung gegenüber Neubau
- Zielmarke für die energetische Sanierung des Bestands: 3% pro Jahr
- Auflegung eines massiven Ausbildungsprogramms zur Milderung des Fachkräftemangels
- Neubau nur mit Passivhausstandard, CO2-negativ und mit Sozialbindung
Ein weiterer zentraler Hebel für die Schaffung bezahlbaren und umweltverträglichen Wohnraums sind Maßnahmen zur Reduktion der Wohnfläche pro Person. Über diesen Hebel werden dann auch wieder genügend Wohnungen für wirtschaftlich Bedürftige bereitgestellt werden können. Beispiele für modernes Wohnen auf weniger Quadratmetern können flexiblere Wohneinheiten mit Gemeinschaftsräumen (‚Clusterwohnungen‘) sein, WGs mit Büroanschluss oder etwa altersgerechtes Wohnen in Mehrgenerationenhäusern
Beispiel Sektor Verkehr und Mobilität
Bisheriges Konzept gegen Verkehrsstaus: noch mehr Straßen. Gut funktioniert hat das noch nie, denn bekanntlich erzeugen neue Straßen zusätzlichen Autoverkehr.
Auf Basis eines verbindlichen, absoluten CO2-Budgets und einer absehbaren Halbierung der zur Verfügung stehenden Endenergie muss anders gedacht werden. Die Nutzung von individuellen Pkw ist äußerst ineffizient. Ca. 23 Stunden pro Tag wird dieses „Stehzeug“ nicht benutzt. Für den Bau sind viele Ressourcen und ca. 30 MWh Energie verbraucht worden. Diese Verschwendung und diese Ineffienz sind in einer ressourcenbeschränkten Welt nicht mehr möglich. Mit Push (Verringerung der Attraktivität des MIV durch Rückbau von Fahrspuren/Straßen/Parkplätze zugunsten des Umweltverbunds) und Pull (Erhöhung der Attraktivität des ÖPNV) ist die Anzahl der individuellen PKW und der Anteil des MIV am Modal Split deutlich zu verringern.
Heute handeln – unser Appell an alle Politiker:innen Hamburgs
Die Themen Klimakrise und Biodiversitätsverlust besitzen bislang keine hohe Priorität in der Politik. Es gibt zu jedem Zeitpunkt immer gerade wichtigere Themen – und ohne ein grundlegendes Umdenken wird das auch so bleiben – bis zum Kollaps. Deutschland verbraucht seit über 40 Jahren – berechnet nach dem ökologischen Fußabdruck – jährlich etwa drei Erden.
Wir fordern daher im Namen unserer und Ihrer Kinder sowie sämtlicher zukünftigen Generationen
- Nehmen Sie den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts als Weckruf!
- Denken Sie in CO2-Budgets, planetaren Grenzen und generationengerecht!
- Nehmen Sie Ihre „Pflicht zur Macht“ wahr, die Bewahrung der Zivilisation ist wichtiger als „Angst vor den Bürger:innen“!
- Kommunizieren Sie den Bürger:innen, dass eine Welt mit Wachstumszwang in den Klima- und Biodiversitäts-Kollaps führen wird!
- Erklären Sie den Bürger:innen, dass eine andere, sozialere, suffiziente, inklusive, generationen- und geschlechtergerechte, d.h. eine überaus lebenswerte Welt möglich ist!
- Bauen Sie diese Welt zusammen mit uns Bürger:innen!